Fika Talk: Über natürliche und recycelte Textilien

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Photo Credit: Franziska Uhl

Natürliche oder lieber recycelte Textilien? // Schon im Studium galt es sich als Designerin mit der Materialwahl und somit an der Schnittstelle zwischen Gestaltung, Nachhaltigkeit, Produzenten und Design auseinander zu setzen. Denn die Materialwahl macht einen erheblichen Teil des ökologischen Fußabdruckes aus. Meine Wahl fiel bei meiner Abschluss-Kollektion auf ausschließlich natürliche, oder eben auf natürlichen Stoffen basierenden Materialien, um so keinen Abfall auf der Erde zu hinterlassen. Das immer dominanter werdende Thema der recycelten Materialien birgt, so wie es scheint, viele Versprechungen, gutes Image und neue Möglichkeiten der nachhaltigen Gestaltung in der Textil-Industrie. Was sind aber nun die Vor- und Nachteile des einen oder des anderen? Mehr zur Thematik und zur Expertin selbst erfahren wir heute im Interview mit der Textil-Ingenieurin (to be) der Nachhaltigkeits-Szene: Franziska Uhl.

Fashion Fika: Franziska, du hast dich dazu entschlossen Textil-Ingenieurin zu werden. Warum gerade dieses Gebiet in der großen Auswahl der Mode-Industrie?

Franziska Uhl: Als ich Abi geschrieben habe war ich der festen Überzeugung ich mach mal was mit Fashion. Zwischen 16 und 18 war ich wirklich krass modeaffin, konnte Designer anhand ihrer Pret-á-porter Shows erkennen und wusste über alle neuesten Trends und Styles bescheid. Ich hab mich damals auf den Studiengang International Fashion Retail in Reutlingen beworben weil ich der festen Überzeugung war, dass es genau das ist, was ich später mal machen will: In der Führungsebene eines großen Premiumfashion Konzerns zu sitzen und die Glitzerwelt der Mode zu zelebrieren.

Es kam zuerst die Einsicht, dass da ziemlich viel schief läuft, dann der Wille etwas zu ändern und dann die Einsicht, dass ich nur was ändern kann, wenn ich die Industrie und ihre Prozesse bei den Wurzeln packe und verstehe. Ich werde mit meinem Studium dafür ausgebildet später mal eine wichtige Stimme in der Industrie zu sein.

Als ich anfing zu studieren und mich, dank des verpflichtenden technologischen Basic Studiums für Management Studenten, mehr mit der Welt hinter dem Glitzervorhang auseinander gesetzt habe, hatte das eine radikale Transformation zur Folge. Ich habe parallel zum Studium damals auch noch im Outlet in Metzingen gearbeitet und war täglich mit dem krankhaften Überkonsum und dem Wegwerfsystem dieser Branche konfrontiert. Es kam also zuerst die Einsicht, dass da ziemlich viel schief läuft, dann der Wille etwas zu ändern und dann die Einsicht, dass ich nur was ändern kann wenn ich die Industrie und ihre Prozesse bei den Wurzeln packe und verstehe. Ich werde mit meinem Studium dafür ausgebildet später einmal eine wichtige Stimme in der Industrie zu sein. Für mich war das glasklar, dass ich alle Prozesse techologisch und chemisch verstehen muss um durchzusteigen wo nachhaltiges Änderungspotenzial besteht. Ich bin dann also zur Textiltechnologie gewechselt und super happy.

FF: Im Herbst gehst du nach New York zu Stoll, da werd ich direkt neidisch! Erzähl doch auch den Lesern kurz was Stoll ist, was dich an dem Praktikum reizt und was du dir erhoffst dort genau zu lernen.

FU: Stoll ist eine deutsche Firma die Flachstrickmaschinen herstellt. Flachstrickmaschinen sind Strickmaschinen auf denen zum Beispiel gemusterte Strickpullis hergestellt werden, aber auch solche Sachen wie Running Schuhe oder Bandagen und noch ganz viele andere Dinge, wie Filtrationssysteme, bei denen man gar nicht daran denkt, dass es gestrickt wurde. Ich habe mich bei dem Praktikum bewusst gegen ein „Öko-Unternehmen“ entschieden, sondern für einen international aufgestellten Textil-Maschinenbauer der Marktführer im Bereich Flachstrick ist. Gerade die Maschinenbauer stehen meist hinter den ganzen Innovationen, die man dann beispielsweise bei Adidas in Form von neuen Running Schuhen sieht. Sechs Monate bei so einem wichtigen Unternehmen geben mir super spannende Einblicke hinter die Kulissen und in die Strukturen der Industrie. Ich finde, dass wenn man „mal etwas ändern“ will, muss man erst mal verstehen wie die Großen ticken.

FF: Das große Thema Recycling in der Textilindustrie! Du hältst nicht so viel von recycelten Fasern. Ich weiß bisher lediglich, dass die Qualität dadurch, und durch die einhergehende Verkürzung der einzelnen Fasern, enorm abnehmen kann. Aber versprechen die neuen Recycling-Angebote nicht gerade, dass das nicht passiert? Wie stehst du zu dem Thema?

FU: Zu diesem Thema kann ich nur jedem das Interview mit Kai Nebel auf meinem Blog empfehlen. Kai leitet an meiner Hochschule die Textiltechnologische Forschungsabteilung und hat ein unglaubliches Wissen. – Edit: Zum Thema Cradle to Cradle erfahrt ihr hier außerdem noch mehr!

Photo Credit: Franziska Uhl

FF: Als wir telefoniert haben, haben wir auch kurz über innovative Nachhaltigkeitsaspekte von synthetischen vs. natürlichen Textilien gesprochen. Du bist weiterhin großer Fan von natürlichen Textilien – kannst du versuchen uns kurz die Vorteile natürlicher vs. synthetischer Materialien in der Textilindustrie zu erläutern?

FU: Kurz ist das leider schwer, weil das Thema sehr komplex und auch, so wie alles, kein Schwarz-Weiß-Ding ist. Synthetische Fasern sind aus Erdöl hergestellt und werden in einem energieaufwändigen, chemischen Prozess hergestellt. Wenn man Textilien aus synthetischem Material wäscht, wäscht man automatisch Microfasern ins Meer, die nichts anderes als Mikroplastik sind. Außerdem braucht ein Polyester Pulli mehr als 300 Jahre um sich zu zersetzen, sonst muss man ihn verbrennen oder versuchen zu recyceln, was meiner Meinung nach auch keine Lösung ist, aber das ist ein anderes Thema.

Dann hab ich vor kurzem von einer Studie gehört, bei der untersucht wurde, wie viel Mikrofasern wir einatmen wenn wir einen Synthetischen Pulli über den Kopf ziehen (zu viel sag ich dir), und in letzter Zeit lese ich mich auch intensiver in das Thema „ wie giftig sind synthetische Fasern auf unserer Haut“ ein. Bei den ganzen Katalysatoren und anderen Chemikalien die noch verwendet werden, will ich gar nicht wissen wie viel da übertragen und von uns über die Haut aufgenommen wird. Leider gibt es da relativ wenige Forschungen und es dauert noch ein bisschen bis ich mir da ein endgültiges Urteil bilden kann.

Mit dem Wasch-Beutel „Guppyfriend“ kannst du vermeiden, dass bei jedem Waschgang Mikroplastik aus deiner Kleidung in unser Wasser gelangt. Zu kaufen gibt es den Beutel inzwischen bei vielen online Stores, die auf Nachhaltigkeit Wert legen, wie bspw. Patagonia und Avocado Store.

Natürliche Fasern haben da im Gegenzug so viele tolle Eigenschaften, ganz ohne Chemie. Gerade wie Wolle, die sich selbstreinigt und wasserabweisend ist. Natürlich bringen natürliche Fasern wie Baumwolle auch Nachteile mit sich, wie der wasser- und chemielastige Anbau. Deshalb muss man das immer von Fall zu Fall definieren. Ich persönlich finde regenerative Cellulosefasern total toll. Regenerative Cellulosefasern sind Chemie-Fasern aber auf natürlicher Rohstoffbasis und zwar der Cellulose.

Das sind Fasern wie Tencel. Dabei wird einfach Cellulose aus Holz gelöst und zu Fasern versponnen. Diese Faser hat total tolle Eigenschaften und der Herstellungsprozess ist überschaubar, was die Chemikalien angeht.

FF: Neben Tencel bzw. Lyocell ist doch auch Viskose eine Faser aus Holz-Cellulose, oder? Ist diese Faser kritischer zu sehen? Wenn ja warum? Sie ist doch im Prinzip auch „biodegradable“, also zersetzt in der Natur, oder?

FU: Sowohl Viskose als auch Modal sind regenerative Cellulosefasern. Also auch Fasern auf Cellulosebasis und somit auch biodegradable. Der Unterschied zwischen Viskose/ Modal und Tencel/Lyocell ist, dass bei der Herstellung von Tencel/Lyocell der chemische Aufwand minimiert wurde. Viskose und Modal sind aus verantwortungsvollen Unternehmen wie Lenzing, die wirklich Vorreiter sind, was Nachhaltigkeit und Rückgewinnungsverfahren der Chemikalien angeht, kein Problem. Bei anderen Unternehmen, gerade aus asiatischen Ländern wäre ich da sehr kritisch. Bei dem chemischen Herstellungsprozess von Viskose und Modal wird zum Beispiel mit Schwefelsäure gearbeitet, was nichts im Abwasser zu suchen hat. Und gerade in asiatischen Ländern, sind die Abwasserkontrollen mehr als mangelhaft. Wie gesagt, Nachhaltigkeit und Fasern ist ein extrem großes und komplexes Thema. Ich könnte jetzt noch mit Waschwerten und Nassfestigkeiten weiter machen, aber das würde den Rahmen sprengen.

FF: Hast du eine Lieblingsfaser? Wenn ja, woran machst du es fest? Vielleicht am ökologischen Fußabdruck?

FU: Zu dieser Frage habe ich kürzlich mal eine Post Reihe auf meinem Blog angefangen. Bei der ganzen Thematik gilt grundsätzlich, und das kann ich nicht oft genug sagen, das nachhaltigste Material ist immer noch das, was bis zum Ende genutzt und getragen wird und bei dem man darauf achtet wenig und mit dem richtigen Waschmittel zu waschen.

Müsste ich mich entscheiden würde ich Tencel nennen und die neue Lenzing Innovation Refibra. Bei Refibra wird Baumwolle recycelt, in dem man sie löst und mit Tencel zusammen neu verspinnt. Das ist um einiges sinnvoller als der Mist, der gerade läuft, mit Baumwolle schreddern und versuchen neu mit 40% Polyester zu verspinnen. Außerdem hat gerade Tencel tolle Eigenschaften was die Festigkeits- und Feuchtigkeitsaufnahme-Werte angeht. Regenerative Fasern finde ich auch deswegen so toll, weil sie einen geringeren Flächen, Pestizid und Wasserbedarf haben als Baumwolle.

Das Thema ist auch unheimlich komplex und nicht so einfach zu beantworten. Das mit den gekürzten Fasern habe ich ja oben in Frage 3 schon angesprochen. Das passiert wenn man versucht natürliche Fasern wie Wolle oder Baumwolle zu recyceln, in dem man sie schreddert. Dabei werden die Fasern ganz kurz und jeder, der schon mal versucht hat eine Kordel mit ganz kurzen Fäden zu drehen, weiß, dass das nicht funktionieren kann. Also muss man neues Material wie Polyester dazu mischen, damit das Ganze überhaupt funktioniert und dann haben wir eine Fasermischung, die nicht mehr recycelbar ist.

Dasselbe gilt im übertragenen Sinne beim Recycling von synthetischen Fasern. Wenn ich Polyester recycle verkürze ich die Molekülketten und muss neues frisches PET hinzufügen um ein qualitativ hochwertiges Ergebnis zu erhalten. Synthetische Faserherstellung ist ein unheimlich komplexer Prozess! Das denkt man gar nicht. Außerdem muss, wenn man jetzt diese ganze Fischernetz-Sache anschaut, das Material erst einmal gewaschen, gebleicht und sortiert werden. Wie viel kann man überhaupt noch verwenden? Wo wird das dann chemisch verarbeitet? Und und und. Die Chemie Industrie verdient unwahrscheinlich viel Geld damit. Und dann hat man am Schluss zwar ein recyceltes Produkt, und vielleicht etwas Rohstoff in Form von Erdöl gespart, aber das Textil landet ja dann wieder irgendwann auf dem Müll oder im Meer und das Mikroplastik-Problem ist auch noch nicht gelöst.

Da muss ein funktionierendes Kreislaufsystem her, eine verpflichtende Mikroplastikfiltration in jeder Waschmaschine und eine Konsumwende beim Konsumenten weg vom Wegwerfprodukt Textil.

Meiner Meinung nach gilt es primär das System an sich zu hinterfragen. Wie krank sind wir eigentlich, dass wir tonnenweise Klamotten im Jahr wegwerfen, um sie dann zu recyceln, anstatt einfach das Lieblingsshirt 5 mal mehr anzuziehen. Wir benutzen PET Flaschen obwohl wir wissen, dass sie Krebserregende und Hormonverändernde Stoffe freisetzen, recyceln sie dann und fühlen uns dann auch noch wie die Retter der Welt. Das Ganze hat für mich eine Art profitorientierte Schadensbegrenzung und keine wirkliche Änderung des Kernproblems Konsum.

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Photo Credit: Franziska Uhl

FF: Also ist das Thema der Circular Economy (wie es bspw. Circular Fashion von Ina Budde) in der Textilindustry auch nur ein Wunschdenken?

Natürlich gibt es Dinge wie Badeanzüge bei denen man aktuell einfach nicht an synthetischen Fasern vorbei kommt und es gibt auch schon und das ECONYL® Regenerations-System, was auch definitiv ein Beispiel in die richtige Richtung ist. Aquafil versucht da ein weltweites Netzwerk aufzubauen. Mud Jeans beispielsweise strebt ja auch so etwas wie eine Circular Economy an.

Technologen und Designer sollten viel mehr zusammenarbeiten und sich vor der Produktion schon darüber Gedanken machen wie man das Teil kreislauffähig und nachhaltig gestaltet.

Das was Ina Budde vertritt ist kein Wunschdenken sondern ein unheimlich wichtiger Schritt. Auch auf der Innabe Slow Fashion Abschlusstagung hat die Designerin Prof. Martina Glomb dafür plädiert, die Designer in jeden Schritt der Supply Chain miteinzubinden. Technologen und Designer sollten viel mehr zusammenarbeiten und sich vor der Produktion schon darüber Gedanken machen wie man das Teil kreislauffähig und nachhaltig gestaltet. Diese Idee beinhaltet natürlich aber auch, dass man die Supply Chain lokaler gestalten und dem Prinzip der untransparenten Subunternehmen entgegen wirken muss. Totale Transparenz ist da das Stichwort.

Das alles lässt sich aber erst dann wirklich realisieren, wenn wir es geschafft haben, dass der Kunde wieder mehr Wertschätzung für sein Textil aufbringt, es lange nutzt und so auch weniger konsumiert. Unsere Industrie ist viel zu schnelllebig und auf Profit als auf Kreislauf ausgelegt. Außerdem bedarf es meiner Meinung nach, noch an sehr viel Forschung was das sinnvolle Recycling von Fasern anbetrifft. Lenzing mit Refibra macht da einen richtigen Schritt in die richtige Richtung.

FF: Was wünscht du dir für die Zukunft der Textilindustrie?

Da kann ich mich nur wiederholen. Wir müssen weg von diesem krankhaften Konsumverhalten. Wir haben die letzten Jahre unseren Konsum verzehnfacht und wir werden ihn die nächsten Jahre noch einmal verzehnfachen. Ich wünsche mir von der Industrie, dass große Unternehmen beschließen: „so jetzt stagniert dieses Jahr unser Gewinn mal und wir betreiben Aufklärungskampagnen und verändern radikal unsere Unternehmens-DNA“. Was bringt mir ein C&A, der zwar weltweit der größte Bio Baumwoll-Abkäufer ist, aber parallel verlauten lässt 50 Teile seiner Kollektion im Niedrigpreissegment anzusiedeln, um mit Primark konkurrieren zu können. Da bringt kein Cradle to Cradle und „We are the Change“-T-Shirt was.

Wir müssen weg vom grünen Verkaufsargument und hin zur wirklichen Konsumtransformation. Selbst im Nachhaltigkeitsbericht der Bundesregierung ist nie die Rede von Konsum-Minimierung sondern nur von Konsumänderung.

Was wäre wenn wir die deutsche Textilindustrie über alternative Regionalwährungen stärken und parallele die Binnenmärkte in aktuellen Produktionsländern wieder aufbauen und zurück zur Selbstständigkeit bringen?

Außerdem hab ich da noch einen persönlichen Denkanstoß für jeden, der ein bisschen tiefer gehen will:
Was wäre wenn wir die deutsche Textilindustrie über alternative Regionalwährungen stärken und parallele die Binnenmärkte in aktuellen Produktionsländern wieder aufbauen und zurück zur Selbstständigkeit bringen? Weg vom neoliberalen kurzsichtigen Grundgedanken „wir müssen ja was kaufen, sonst haben die dort keine Arbeit mehr“ hin zu mehr wirtschaftlicher Unabhängigkeit und ungefähr der nachhaltigsten Supply Chain, die es gibt und zwar der: im eigenen Land.

Vielen Dank an Franziska für das spannende Interview – du nennst viele Aspekte, die ich ganz genauso sehe und ich bin mir sicher, dass eine heranwachsende Generation in der Industrie an vielen Stellen einiges erreichen kann! Schaut auch bei Ihr am Blog vorbei um noch mehr Infos zu Siegeln, Textilien und einem veganem Leben als Studierende_r zu lesen.

Hört Euch auch diesen Podcast passend zum Thema „Aus alt mach neu – Wie nachhaltig ist Recycling in der Mode?“ an!

 

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